Wenn Musiker Bücher schreiben, dann sind das oft nur ihre
Autobiographien.
Selten schreiben Musiker Romane.
Sven Regener hat es getan.
Er ist der Sänger und Frontmann der deutschen Indie-Rock Band „Element of Crime“, die mit ihrer Musik nicht
unbedingt den großen Mainstream
bedienen. Einer größeren Masse ist Regener vielleicht am ehesten bekannt, durch
sein wütendes Plädoyer zum Urheberrecht,
bei einem Radiointerview.
Mit dem Buch „Herr Lehmann“ ist dem Künstler etwas ganz
besonderes gelungen: Eine Gradwanderung zwischen brüllend komisch, ernst und
anrührend.
Der gebürtige Bremer
lebt im Berlin-Kreuzberg des Jahres 1989. Er arbeitet als Kellner in einer
kleinen Kneipe. Er ist Einzelgänger, sein Tagesablauf ist oft der gleiche, neben
der Arbeit geht er ins öffentliche Schwimmbad oder trifft sich mit seinem
Freund Karl.
Schließlich lernt
er Karin kennen. Das verändert sein Leben…und dann kündigen sich auch noch die
Eltern aus Bremen an, die eigentlich davon ausgehen, dass er in einem tollen
Job mit guter Bezahlung arbeitet…
Unter normalen Umständen wäre die Handlung von „Herr
Lehmann“ fast schon langweilig. Es gibt keinen wirklichen Plot, einen Beginn
oder ein Ende. Alles geht einfach so vor sich hin.
Aber genau darin liegt für mich der Reiz der Geschichte.
Das ganze Buch lebt vollkommen von seinem Hauptcharakter
Frank Lehmann.
Frank ist ein besonderer Mensch. Als Leser kann man ihn
zu Anfang nur schwer einschätzen, weiß vielleicht erst mal wenig mit ihm
anzufangen. Aber das weiß Frank vielleicht ja auch selbst nicht so wirklich. Es
scheint so, als habe er kein wirkliches Ziel, keine Perspektiven. Deswegen
ändert sich auch so wenig in seinem Leben.
In allen möglichen Situationen gewinnt der Leser Einblick
in sein Denken, das oft sehr stark im Wiederspruch, zu seinem Handeln liegt. Dieses
geschieht oft willkürlich, improvisiert und unbedacht.
Frank beobachtet gerne. Philosophiert über andere Menschen,
oder aber auch Situationen in seinem Leben. Er nimmt sich die Zeit, darüber
nachzudenken, worüber andere vielleicht nie Nachdenken würden. Dabei ist er
vollkommen ehrlich, weswegen sich mache Personen, die ihm Begegnen, nicht gerne
mit ihm unterhalten.
Auf der anderen Seite ist der Roman „Herr Lehmann“ nicht
nur eine Geschichte über einen besonderen jungen Mann, sondern auch über eine
besondere Zeit.
Es ist das Jahr des Mauerfalls. Überall um Frank herum
diskutiert man darüber, was gerade im anderen Teil Berlins vor sich geht. (Er
selbst enthält sich eher der Diskussion.) Es ist eine bewegende Zeit, eine Zeit
des Wandels.
Sven Regener |
Das Buch ist oftmals auch eine Milieustudie. Es zeigt das
Leben von jungen Menschen in Berlin-Kreuzberg, zu einer Zeit, in der man wenig
über Themen, wie Karriere oder Zukunft nachdenkt. Im Grunde sind alle Personen
um Frank herum so ähnlich wie er. Es herrscht ein allgemeines, lockeres
Lebensgefühl.
Der Stadtteil Berlin-Kreuzberg, ist nicht nur Ort des
Geschehens, sondern auch eine Art Mikrokosmos, mit eigenen Regeln und Gesetzten
(vielleicht sogar mit einem eigenen, bestimmten Charakter)
Sven Regener schreibt auf eine besondere Art und Weise!
So wie er, bauen nur wenige Autoren Sätze.
Man könnte an manchen Stellen des Buches sagen, das fast
jeder einzelne Satz ein kleines Kunstwerk für sich ist.
Sie sind lang, vollgepackt mit Informationen, die oftmals
Sprunghaft zwischen mehreren Themen hin und herwechseln. So kann es schon mal
vereinzelt vorkommen, dass sich der Punkt eine halbe Seite unter dem Satzanfang
befindet.
Das alles spricht aber nicht für eine komplizierte
Sprache. Es handelt sich lediglich um ein Stilmittel, das dem Buch und auch dem
Charakter von Frank Lehmann eine besondere Note verpasst.
Der Text und die Geschichte sind klar und leicht verständlich.
Wenn man schließlich nach 285 Seiten das Buch zur Seite
gelegt hat, bleibt ein besonderes Gefühl zurück. Ein Gefühl von Ruhe und Ausgeglichenheit.
Auf diesen 285 Seiten hat man den jungen Frank Lehmann
begleitet, dessen Leben auf einmal ganz schön aufregend geworden ist.
Die Person Frank Lehmann hat sich dadurch nicht geändert,
sie geht ihren Weg weiter wie bisher. Ob das gut oder schlecht ist weiß man
nicht.
Vielleicht ist das aber auch genau richtig so.
"Der Nachthimmel, der ganz frei von Wolken war, wies in der Ferne, über Ostberlin, schon einen hellen Schimmer auf, als Frank Lehmann, den sie neuerdings nur noch Herr Lehmann nannten, weil sich herumgesprochen hatte, daß er bald dreißig Jahre alt werden würde, quer über den Lausitzer Platz nach Hause ging."
aus: Herr Lehmann von Sven Regener
Weitere Informationen:
Inzwischen existiert eine Herr Lehmann Trilogie. Sven Regener hat eine Vorgeschichte, bestehend aus zwei Büchern, hinzugefügt. Beide Bücher ("Neue Vah Süd" und "Der Kleine Bruder") sind ebenfalls sehr lesenswert.
Zu Herr Lehmann existiert inzwischen auch eine Verfilmung mit dem deutschen Schauspieler Christian Ulmen.
Daten:
Titel: Herr Lehmann
Verlag: Goldmann Verlag
ISBN-13: 978-3442453306
Amazon Link:
http://images.booklooker.de/isbn/9783442453306/Regener%20Herr-Lehmann-Ein-Roman.jpg
http://d1.stern.de/bilder/stern_5/kultur/2011/leselounge/11/Sven_Regener_Logbuecher_420_fitwidth_420.jpgIch besitze keine Rechte an den Bildern und nutze sie lediglich um dem Leser einen optischen Eindruck des Themas zu geben.
Hey ^_^
AntwortenLöschenIch fand das auch wirklich ein ganz tolles Buch, obwohl ich am Anfang sehr skeptisch war - warum auch immer war Sven Regener mir furchtbar unsympathisch. Aber nachdem ich das Buch gelesen habe, konnte ich das alles ganz gut nachvollziehen :) Irgendwie empfinde ich die ganze Trilogie ja doch irgendwie als eine Art Biografie, aber eben von einer Person die es gar nicht wirklich gibt, oder jedenfalls nicht als Frank Lehmann.
Dein Post hat mir wirklich gut gefallen und danke für den netten Kommentar auf meinem Blog
Liebe Grüße
Karokoenigin